In einem bayrischen Barfüßerkloster lebte einst ein Mönch namens Ignatius. Sein ganzes Leben verbrachte er mit dem Studium der Lehre des Aristoteles, der, obwohl ein Heide, von der Kirche jahrtausendelang als Autorität anerkannt, ja geradezu verehrt wurde. Besonders die Logik des Aristoteles hatte es dem Mönch angetan, die da sagt, daß ein Gegenstand nur entweder A oder Nicht-A sein könne, und ein Drittes gibt es nicht; und daß eine Aussage entweder wahr oder falsch sei, und nicht beides oder etwas ganz anderes sein könne. Schließlich stieß er auch auf das berühmte Lügnerparadoxon, in welchem Epimenides der Kreter erklärt: "Alle Kreter lügen." Nun ist dieses Paradoxon gar keines. Wäre die Aussage des Epimenides wahr, so würden alle Kreter, folglich auch dieser, lügen, folglich wäre seine Aussage falsch, und nicht alle Kreter lögen. Ist der Satz des Epimenides aber falsch, so ergibt sich kein Widerspruch. Dieser Kreter lügt zwar, aber nicht alle.
Schwieriger wird es aber, wenn irgendjemand, er sei ein Kreter oder nicht, behauptet: "Ich lüge jetzt", oder: "Dieser Satz ist falsch".
Ist der Satz richtig, dann muß er, wie er selber behauptet, falsch sein. Ist der Satz aber falsch, dann ist das Gegenteil wahr von dem, was der Satz behauptet, also ist der Satz richtig. Wenn der Satz richtig ist, ist er falsch, wenn er falsch ist, ist er richtig, und so dreht sich die Sache im Kreis. Das ist ein Paradoxon.
Viele Jahre seines Lebens grübelte Bruder Ignatius über diesem Paradoxon. Ist der Satz richtig, so ist er falsch, ist er falsch, so ist er richtig, ging es ihm ständig im Kopf herum. Es war seine ständige Meditation, sein Credo und sein Amen. Eines Tages jedoch durchhieb Bruder Ignatius den gordischen Knoten und schrie laut hinaus:
"Es gibt noch ein Drittes neben Wahr und Falsch: und das ist Paradox"
In dieser Nacht erschien in demselben Kloster dem Mönch Bonifatius der Teufel. Bonifatius war kein Logiker, wie Ignatius, sondern befaßte sich, wie es manche Mönche tun, mit Theologie. Sein besonderes Fachgebiet war der Teufel. Man kann sagen, daß Bonifatius alles über den Teufel wußte, was - außer dem Allwissenden selbst - jemand wissen kann. Eine der interessanteren Tatsachen über den Teufel, die er herausfand - er hatte auch weniger interessante herausgefunden, wie die Dicke seiner Hörner, das Gewicht seines Hufes, oder die Länge seines Schwanzes - eine der interessanten Tatsachen jedenfalls, die Bonifatius herausgefunden hatte, war die, daß der Teufel, der Geist, der stets verneint, niemals die Wahrheit sagt. Vorstellen kann sich das jeder leicht, es leuchtet ein und klingt plausibel. Doch in jenem Kloster hatte man die Theologie zur exakten Wissenschaft erhoben. Die genaue Methode tut hier nichts zur Sache, jedenfalls hatten die Untersuchungen und Experimente des Bruder Bonifatius exakt ergeben, daß der Teufel niemals die Wahrheit sagt.
In dieser Nacht nun erschien dem frommen Mönch der Gewisse. Bruder Bonifatius, reinen Herzens und unbelasteter Seele, war weniger geängstigt als vielmehr erfreut, dem Objekt seiner Forschungen einmal von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen.
"Darf ich Dir einige Fragen stellen?" bat er den Teufel ungeniert.
"Nein!" sagte dieser.
Bruder Bonifatius bedankte sich erfreut, denn dies war die Antwort, die er sich erhofft hatte.
"Werde ich in die Hölle kommen?" fragte er.
"Das weiß ich nicht!" antwortete der Höllenfürst lächelnd.
"Du weißt es sehr gut", sagte Bruder Bonifatius. "Ich weiß, daß Du nie die Wahrheit sagst!"
Da überzog ein bösartiges Lächeln das Gesicht des Höllenfürsten wie eine Maske aus Spinngewebe:
"Ja, das stimmt," sagte der Böse, "ich sage nie die Wahrheit!"
Und mit einem teuflischen Lachen, dessen Echo aus allen Ecken des Klosters widerhallte, verschwand der Teufel.
Bruder Bonifatius stand da wie mit einer Keule getroffen. Wie konnte das sein? Wie konnte der Teufel zugeben, daß er nie die Wahrheit sagte?
Bruder Bonifatius begann zu grübeln. Als notorischer Lügner hätte der Teufel doch sagen müssen: Nein, ich sage immer die Wahrheit! oder: Doch, manchmal sage ich auch die Wahrheit, jedenfalls etwas in diesem Sinn.
Konnte es sein, daß der Teufel die Wahrheit gesagt hatte? Das würde aber doch bedeuten, daß der Teufel nie die Wahrheit sagte, also auch dieser Satz unwahr war!
Der Satz widersprach sich selbst!
Wenn dieser Satz aber unwahr war, dann hieß das, daß der Teufel doch manchmal die Wahrheit sagte, zwar nicht unbedingt in diesem Fall, aber hin und wieder, wenigstens ein einziges Mal. Logisch ergab diese Annahme keinen Widerspruch. Aber sie stand im Widerspruch zu der von Bruder Bonifatius mitentwickelten Exakten Theologie. Denn die hatte doch eindeutig, mit mathematischen und physikalischen Mitteln nachgewiesen, daß der Teufel nie die Wahrheit gesagt hatte, sagte, oder sagen würde!
War die Exakte Theologie doch falsch? Hatten die Klerikalkulationsprogramme versagt? Waren die Theologarithmen fehlerhaft?
Demütig schlich Bruder Bonifatius zum Abt und gestand ihm seine Zweifel, und daß möglicherweise die Exakte Theologie und mit ihr das dem Kloster zugeteilte Forschungsbudget auf wackligen Beinen stünden. Der Abt gebot dem Bruder Bonifatius strengstes Stillschweigen und berief sofort eine geheime Beratung seiner vier oder fünf vertrautesten Mönche ein. Unter denen war auch Bruder Ignatius. Als er die Problemstellung hörte, brauchte er nicht lange nachzudenken. Lächelnd erhob er sich und sagte:
"Verehrter Abt, liebe Mitbrüder, ich kann euch beruhigen, der Exakten Theologie und unserem Forschungsbudget droht keine Gefahr. Unser Bruder Bonifatius ist einem Trugschluß aufgesessen. Seine Schlußfolgerung lautete: Wenn der Satz des Teufels wahr ist, dann sind alle Sätze des Teufels falsch, folglich auch dieser. Da dies ein Widerspruch ist, so schloß Bruder Bonifatius, kann der Satz nicht wahr sein. Wenn er aber unwahr ist, so schloß er weiter, so muß der Teufel zumindest einmal irgendwo, irgendwann die Wahrheit gesagt haben. Und dann ist die Exakte Theologie falsch, die nachgewiesen hat, daß der Teufel noch nie die Wahrheit gesagt hat. Nun liebe Mitbrüder, an dieser Schlußfolgerung stimmt eines nicht: Wenn ein Satz nicht wahr ist, so heißt das noch nicht, daß er falsch ist. Er kann auch paradox sein. Von paradoxen Sätzen kann man nicht sagen, ob sie wahr oder falsch sind. Denn beide Annahmen führen zu einem Widerspruch. Ich erinnere an das berühmte Lügnerparadoxon vom Kreter Epimenides.
Der Satz des Teufels, der unseren Bruder Bonifatius so beunruhigt hat, ist so ein Satz. Weder wahr noch falsch, sondern einfach paradox. Der Satz des Teufels ist ebenso paradox wie die Sätze: ,Ich lüge jetzt‘ oder: ,Dieser Satz ist falsch‘. Er ist weder wahr noch falsch, denn da der Teufel nie die Wahrheit sagt, kann der Satz nicht wahr sein. Da er aber behauptet, daß der Teufel nie die Wahrheit sagt, kann er auch nicht falsch sein. Er ist paradox. Und die exakte Theologie ist gerettet. Wir dürfen nur die Aussage ,Der Teufel sagt nie die Wahrheit‘ nicht so verstehen, als bedeute sie ,Der Teufel lügt immer‘. Sie bedeutet vielmehr: ,Was der Teufel sagt, ist entweder falsch oder paradox‘."
Die Ausführungen von Bruder Ignatius überzeugten einige der Mönche, die anderen jedoch nicht. Zweifel machte sich breit. Unter anderem zweifelte auch der Bruder Bonifatius. Da die Fortsetzung der Diskussion zu keiner Lösung führte, befahl der Abt den beiden Mönchen, zu fasten und um eine göttliche Eingebung zu beten.
Das taten die beiden denn auch, gehorsam und voll Hingebung. Sie fasteten vierzig Tage lang, und am einundvierzigsten Tag starben sie. Beide zur selben Minute. Der Herr hatte sie zu sich gerufen.
"Endlich werden wir nun die Wahrheit erfahren", sprach die Seele von Bruder Bonifatius zur Seele von Bruder Ignatius während der Himmelfahrt.
"Sicher," sprach des Seele von Bruder Ignatius, "denn der Herr lügt weder noch ist er paradox."
Der Herr empfing die beiden Seelen mit ernster Miene.
"Nun, was habt ihr mir zu sagen?" fragte er bekümmert.
"Stimmt es, daß der Teufel nie die Wahrheit sagt?" fragte die Seele von Bruder Bonifatius.
"Ja, das stimmt", sagte der Herr.
"Und stimmt es, daß es außer wahren und falschen Sätzen auch noch eine dritte Art gibt, nämlich paradoxe?"
"Ja, das stimmt", sagte der Herr. "Es gibt die beiden Wahrheitswerte Wahr und Falsch, und es gibt Sätze, die keinen dieser Wahrheitswerte haben, sondern paradox sind."
"So dürfen wir frohlocken?" fragten die beiden Seelen vorsichtig, denn die Miene des Herrn schien ihnen düster.
"Ihr habt, scheint's, noch nicht begriffen, was passiert ist. Du, Bonifatius, hast den Teufel zu einer paradoxen Antwort provoziert! Und du, Ignatius, hast ihn mit deiner Entdeckung auf diese Idee gebracht. Denn wo Menschen forschen, schaut ihnen der Teufel beständig über die Schulter, um zu sehen, wie aus den Erfindungen des Geistes teuflischer Nutzen gezogen werden kann. Und nun seht, was ihr angerichtet habt. Der Satz des Teufels ist nämlich nicht nur paradox, sondern zugleich noch etwas viel Schlimmeres. Seht euch diesen Satz an:"
Und der Herr schrieb mit seinem Finger in die Wolken:
"Dieser Satz ist entweder falsch oder paradox."
"Nun," sprach er, "ist der Satz wahr, falsch oder paradox? Wenn er wahr ist, dann muß er entweder falsch oder paradox sein, wie er selbst behauptet. Wenn er aber falsch ist, dann stimmt seine Behauptung, also ist er wahr. Wenn er paradox ist, so trifft seine Behauptung wiederum zu, also ist er wiederum wahr. Wenn er aber wahr ist, so muß er entweder falsch oder paradox sein! Siehst du nun, was du angerichtet hast, Ignatius? Ständig werden wir zwischen den Wahrheitswerten hin- und hergeworfen. Es ist also offensichtlich, daß der Satz wirklich paradox ist, und zwar so paradox, daß wir nicht einmal entscheiden können, ob er paradox ist. Wenn wir aber zugeben, daß er wirklich paradox ist, dann ist er doch wahr! Und wir müssen zugeben, daß er paradox ist, denn wir können doch nicht sagen: dieser Satz ist nicht wahr, er ist nicht falsch, und es stimmt auch nicht, daß er keinen Wahrheitswert hat! Und nun versteht ihr hoffentlich, was wirklich geschehen ist: der Teufel, der nie die Wahrheit sagt, hat einen paradoxen Satz gesagt. Und dieser paradoxe Satz ist wahr! Versteht ihr, was das bedeutet? Die Paradoxie ist wahr, und die Wahrheit ist paradox!"
"Aber Allmächtiger!" rief Bruder Ignatius aus, "Hast Du das nicht schon immer gewußt?"
"Ich schon," sagte der Herr, "aber ich habe gehofft, es vor euch geheimhalten zu können. Jetzt muß ich dieses Geheimnis mit euch teilen!"
"Du mußt?" sprach Bonifatius erschüttert. "Du bist doch der Allmächtige?"
"Ach Gott," seufzte der Herr, "allmächtig! Kann ich einen Stein machen, so groß, daß ich ihn selbst nicht heben kann?"