Martin Auer
Rotenmühlgasse 44/30
A-1120 Wien
 

Katja Roßmann
 

15. März 1996
 

Liebe Katja Roßmann,

vielen Dank für Ihren Brief.

Ihre Fragen sind für mich als Autor nicht leicht zu beantworten. Eine gute Bibliothekarin oder Deutschlehrerin könnte Ihnen da sicher besser Auskunft geben. Kinder sind kaum imstande, unmittelbar nach einer Lesung zu sagen, was ihnen gefallen hat, und noch weniger, warum es ihnen gefallen hat. Äußerungen wie: "Deine Bücher sind super!" sind da ja nicht sehr aufschlußreich.
Da müßte man wissen, über welche Geschichten die Kinder nach einigen Tagen sprechen, was ihnen dazu spontan einfällt. Und dann bin ich ja nicht mehr da.
Ich kann nur die Reaktionen der Kinder während der Lesung beobachten. Hier verät mir oft ein Lachen oder ein kollektives Einatmen, daß ein Gedanke "angekommen" ist, auch wenn die Kinder nicht imstande sind, wiederzugeben, was sie empfinden. Da bin ich nun freilich in der glücklichen Lage behaupten zu dürfen, daß alle meine Texte bei den Kindern "ankommen", wenn ich nicht das Alter oder die augenblickliche Stimmung meiner Zuhörerschaft ignoriere.

Aus den Verkaufszahlen kann ich auch nicht viel entnehmen, die sagen ja nur etwas daürber aus, was den Erwachsenen gefällt, die die Bücher kaufen.

So kann ich eigentlich nur sagen: Das was ich schreibe ist das, wovon ich glaube, daß es den Kindern gefällt.

Ich glaube nicht, daß Bücher wirklich zugunsten von Computern und Fernsehen zurückstecken müssen. Mein Eindruck ist, daß die Kinder - vor allem die Kinder des Mittelstands - mehr Zeit als früher allein in den Wohnungen verbringen. Das, was zu kurz kommt, gegenüber früher - meiner Kindheit etwa - ist das freie Herumrennen auf der Straße. Der Kinderbuchmarkt floriert. Unter den einsamen Beschäftigungen der Kinder nimmt das Bücherlesen sicher einen Platz ein.

Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß Kinder aus lesenden Familien selber wieder zu Leser/innen werden. Auch Lehrer/innen können viel dazu beitragen, das Interesse der Kinder an Büchern zu wecken. Wichtig ist einfach, den Kindern durch Bücher angenehme schöne Erlebnisse zu vermitteln. Bewährt sind Vorlesestunden, Klassenbücherei (für die Kinder auch ihre Lieblingsbücher zur Verfügung stellen) und Schulbücherei (als angenehmer Pausentreffpunkt), Buchprojekte wie z.B. das eigene Geschichtenbuch der Klasse, Schülerzeitungen, Lesefestivals, Bücherfestivals, Lesenächte (höchst beliebt: Kinder dürfen eine ganze Nacht in der Bücherei verbringen und lesen, feiern, essen, schlafen, spielen. Meist mit Lesung, Theateraufführung o.ä. verbunden), dramatische Umsetzung von Büchern usw. Manche Schulen veranstalten mit der örtlichen Buchhandlung gemeinsam Kinderbuchtage, zu denen auch die Eltern eingeladen werden, damit auch die Eltern über gute Bücher informiert werden können. Nicht zuletzt ist natürlich eine unterhaltsame, spannende, ergreifende, jedenfalls nicht langweilige Autorenlesung ein hervorragendes Mittel, Kinder für Literatur zu begeistern. Bei einer Autorenlesung erleben sie persönliche Zuwendung von einem Künstler bzw. einer Künstlerin, und das gibt ihnen mehr als jedes andere Medium. Sehr gute Arbeit wird auch von vielen Bibliotheken geleistet, die mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit die Kinder anlocken. Sehr wichtig ist die Zusammenarbeit von Schule, Bibliothek und Buchhandlung. Noch wichtiger ist aber ein freudiger, lockerer Umgang mit den Büchern. Irgendwelche Vorträge über die Wichtigkeit des Lesens bringen gar nix, noch weniger bringt es, das Fernsehen oder den Computer zu verteufeln (übrigens zwei ganz verschiedenen Medien, die nicht dauernd in einen Topf geworfen werden sollten. Der Computer bietet nicht nur Ballerspiele, sondern ist ein hochwertiges Medium der Symbolverarbeitung, das gegenüber dem Buch auch eine Reihe von Vorzüge aufweist.)

Zu Ihrer letzten Frage: Ich versuche einfach gute Bücher zu schreiben. Bücher, die den Kindern etwas für sie Wichtiges mitteilen, die unterhaltsam und tiefgehend sind.

Ich hoffe, diese Antworten helfen Ihnen weiter. Sollten sie wiederum Fragen aufwerfen, bin ich gerne bereit, auch die zu beantworten.

Viel Erfolg für Ihre Arbeit wünscht Ihnen
 
 

Martin Auer